92 Alarmierungen & 98 Ausbildungen: Reichenhaller Bergwacht blickt auf arbeitsreiches Jahr zurück
Bad Reichenhall (mg/ml): Die 42 aktiven ehrenamtlichen Einsatzkräfte der Bergwacht Bad Reichenhall waren 2022 bei 92 Alarmierungen und 98 Ausbildungen gefordert. Bei der Jahreshauptversammlung im Bergwachthaus blickten Bereitschaftsleiter Stefan Strecker, sein Stellvertreter Urs Strozynski und Ausbildungsleiter Michael Ziegler zusammen mit ihren Kameraden und zahlreichen Ehrengästen der anderen Blaulicht-Organisationen und der Politik auf das ereignisreiche Jahr zurück und zeichneten den nach wie vor sehr engagierten Peter Windstoßer als Urgestein für 60 Jahre aktive Dienstzeit in der Bergwacht Bayern aus.
92 Alarmierungen
Die Corona-Pandemie hatte 2020 und 2021 die Arbeit der Einsatzsatzkräfte wesentlich herausfordernder als sonst gestaltet. Als im Frühjahr 2022 die Schutzmaßnahmen sukzessive reduziert werden konnten und dadurch auch die Arbeit mit einem fast normalen Dienstbetrieb wesentlich einfacher wurde, stiegen zeitgleich mit den uneingeschränkten Freizeit-Aktivitäten im Gebirge auch die Einsatzzahlen wieder an: Gründe für die insgesamt 92 Alarmierungen waren Unfälle mit Verletzten und internistisch Notfälle, aber auch 20 Rettungen von Unverletzten aus Bergnot, darunter 49 Einsätze in Zusammenarbeit mit Hubschrauber-Besatzungen, davon allein 38 mit dem Traunsteiner Rettungshubschrauber „Christoph 14“. Bereitschaftsleiter-Stellvertreter Urs Strozynski berichtete von besonderen Einsätzen und Tendenzen: Es gab weniger Nachforschungen, insbesondere ausgelöst durch Lichtquellen, dafür aber mehr Rettungen von Unverletzten aus Bergnot. Beispielhaft waren im April 2022 die Einsätze im Lattengebirge, wo bei drei ähnlichen Vorfällen verstiegene Bergsteiger aus der verschneiten Nordseite gerettet wurden. Dazu gab es mehrere Nachteinsätze, teilweise sehr zeit- und personalintensiv und mit Unterstützung von bis zu zwei Hubschraubern, die zeitgleich im Einsatz waren. Strozynski dankte seiner Mannschaft, den Bergrettern der Nachbar-Bereitschaften Teisendorf-Anger und Freilassing und den anderen Einsatz-Organisationen wie Feuerwehr, Landrettungsdienst, Polizei und den verschiedenen Hubschreiber-Besatzungen für die gute und professionelle Zusammenarbeit.
98 Ausbildungen
Aktuell hat die Bergwacht Bad Reichenhall 68 Mitglieder, davon sind 42 aktive Bergretter. Die Ausbildung zur aktiven Einsatzkraft ist in der Regel mit zwei Jahren nicht nur zeitaufwändig, sondern auch lernintensiv. Diverse Prüfungen sind dabei zu durchlaufen, die meistens nur einmal jährlich angeboten werden. Kann einer der aktuell neun Anwärter an einem Prüfungstermin nicht teilnehmen, verlängert sich die gesamte Ausbildung für den ehrenamtlichen Azubi gleich um ein ganzes Jahr. Die Anforderungen an die Auszubildenden sind dem immer komplexer werdenden Auftrag geschuldet, für ein Ehrenamt jedoch außergewöhnlich hoch. Viele Reichenhaller Bergretter haben darüber hinaus weitere Ausbildungen der Bergwacht Bayern durchlaufen und sich so weiter spezialisiert: Elf Einsatzleiter, 20 so genannte Air Rescue Spezialisten (ARS) für die Luftrettung, fünf Canyon-Retter, ein Hundeführer, ein Krisenberater im Kriseninterventionsdienst (KID Berg) , ein Fachberater für Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV), drei Notfallsanitäter und fünf Rettungssanitäter. Die insgesamt 16 Ausbilder unter der Regie von Ausbildungsleiter Michael Ziegler sind dabei nicht nur in Bad Reichenhall tätig, sondern helfen auch in der Region Chiemgau und überregional bei Lehrgängen der Bergwacht Bayern mit, wodurch Land, Region und Ort eng vernetzt und im ständigen Austausch sind, wovon die Reichenhaller Bereitschaft besonders dann profitiert, wenn Neuerungen umgesetzt werden. Ausbildungsleiter Michael Ziegler gab einen Überblick über die insgesamt 98 Ausbildungstermine, darunter 29 für aktive Einsatzkräfte, 33 für die Anwärter, 14 für die Lawinenhundestaffel, acht für die Canyon-Retter, sechs für die Krisenberater, vier am Hubschrauber-Simulator in Bad Tölz, drei Übungen mit Hubschraubern am Berg und eine zentrale Fortbildung für die Einsatzleiter des Einsatzleitbereichs Saalachtal. Darüber hinaus fanden eine große Sommer- und eine Winterübung, zahlreiche kleinere sehr realistisch inszenierte Einsatzübungen sowie Fahrtrainings mit den teilweise anspruchsvollen Einsatzfahrzeugen wie dem All-Terrain-Vehicle (ATV) im Gelände statt. „Nur eine gute Aus- und Fortbildung gewährleistet einen sicheren und unfallfreien Einsatzablauf. Wenn die Gemeinschaft weiterhin so zusammenhält, wie das in der Vergangenheit war, bin ich zuversichtlich, dass uns alles gelingen wird, was wir anfangen!“, lobte Strecker, der zugleich alle zu einer weiterhin regen Teilnahme an den vielen Ausbildungsangeboten und Übungen aufrief. Alle Spezial-Einsatzkräfte leisten neben dem regulären Bergrettungsdienst aufwändige Fortbildungen und Einsätze in ihrem jeweiligen Fachgebiet und investieren dafür nochmals sehr viel zusätzliche Zeit und Energie.
Viel geleistete Arbeit im Hintergrund
Strecker dankte insbesondere seinen elf Einsatzleitern für ihren in Schichten organisierten Bereitschaftsdienst und die große Verantwortung, die sie für ihre Kameraden und den Patienten bei der Einsatzdurchführung übernehmen. Eine überdurchschnittliche Einsatzerfahrung sowie drei fordernde Lehrgänge bei der Bergwacht Bayern sind die Voraussetzung, um als Einsatzleiter der Bergwacht Bayern bestellt zu werden. Und selbst als frisch bestellter Einsatzleiter steht im ersten Jahr immer noch ein erfahrener alter Hase als Berater zur Seite. Bei größeren Schadenslagen oder mehreren Verunfallten unterstützen ein oder zwei Kameraden mit Einsatzleiter-Qualifikation den diensthabenden Einsatzleiter und übernehmen Funktionen als Abschnittsleiter oder Führungsgehilfen. Strecker dankte auch den 26 inaktiven Mitgliedern, die eigentlich im Hintergrund sehr aktiv sind, nur nicht mehr an vorderster Front als Einsatzkräfte agieren: „Sie sind immer da, wenn ich sie brauche, um den Dienstbetrieb aufrecht zu halten. Stellvertretend nenne ich hier den Hans Lohwieser, den Werner Thaler und den Helmut Lutz. Derjenige mit der meisten Belastung ist zur Zeit der Walter Aßmann, der sehr viel Zeit aufbringt, um zum einen bei Einsätzen auch noch ganz vorne mitzuhelfen, aber auch organisatorisch mit ganz vielen Arbeiten und Projekten im Hintergrund den Betrieb der Rettungswache aufrecht zu erhalten. Walter, ohne Dich wären momentan nicht so viele Vorhaben realisierbar!“
Neuer Anhänger
Für größere Einsätze und abgelegene Einsatzorte ohne jede Infrastruktur hat die Reichenhaller Bergwacht 2022 mit Unterstützung der Canyon-Rettungsgruppe Chiemgau (CRG) einen neuen Einsatzanhänger konzipiert und ausgestattet, in dem Sicherungs- und Wärmematerial und ein Einsatzzelt zur weiteren Patientenversorgung, für die Einsatzleitung oder einfach nur als wettergeschützter Unterstand und Materiallager untergebracht sind. Dazu kommen ein Notstrom-Aggregat, Licht und einem Heizgerät. Über die seit Jahrzehnten bestehende Alarmierung per Funkmeldeempfänger hinaus richtete die Bergwacht Chiemgau 2022 zusätzlich eine neue Benachrichtigung per Handy-App ein, über die die Bergretter eine Rückmeldung abgeben können, ob sie zum Einsatz kommen, auf Abruf bereitstehen oder nicht verfügbar sind – darüber hinaus sehen sie, welche Einsatzmittel wie Hubschrauber im Anflug, beziehungsweise welche Spezial-Einsatzkräfte auf Anfahrt sind. Mit der weiteren App „ELA Alpin“, die auf Herz und Nieren getestet wurde, haben die Ehrenamtlichen zukünftig ein weiteres digitales Werkzeug zur Lagedarstellung: Der Einsatzleiter behält in Echtzeit den Überblick über die Einsatzkräfte, bekommt Informationen zum Einsatzverlauf, die automatisch dokumentiert und je nach Notwendigkeit untereinander ausgetauscht werden.
Für den Blackout gewappnet
Mit einer im März 2023 weitgehend in ehrenamtlicher Eigenregie auf dem Dach installierten Photovoltaik-Anlage samt Notstrom-Versorgung reagiert die Reichenhaller Bergwacht auf mögliche Blackout-Szenarien und stellt auch bei überregionalen Stromausfällen den autarken und netzunabhängigen Betrieb ihrer Rettungswache und des im Gebäude untergebrachten Rechenzentrums der Bergwacht Bayern samt Regionalgeschäftsstelle sicher: Die Planung dafür begann bereits im September; die endgültige Inbetriebnahme ist für Juni 2023 vorgesehen. Dank einer Änderung im Umsatzsteuerrecht fällt für viele Teile der Anlage keine Umsatzsteuer mehr an, wodurch sich die Gesamt-Investition auf knapp 50.000 Euro für Material und Installation beschränkt. Wie in der Vergangenheit schon so oft, erbringen die Reichenhaller Bergretter auch viel Arbeit in Eigenleistung, darunter Auf- und Abbau des Gerüstes und die Anpassung ihres Materiallagers für die Technik der Anlage und die Batterien. Damit das investierte Geld den Bergrettern nicht für andere wichtige Aufgaben fehlt, starten sie zur Finanzierung noch eine Crowdfunding-Maßnahme und bitten regionale Politiker um Unterstützung.
Wieder mehr Geselligkeit
2022 fanden nach zwei Jahren Zwangspause wieder sehr gut besuchte und für den Zusammenhalt in der Gemeinschaft unverzichtbare kameradschaftliche Ereignisse statt, darunter eine ordentliche Jahreshauptversammlung im Juli, die traditionelle Sonnwendfeier im Juni und die Weihnachtsfeier im Dezember. „Mit Werner Thaler sen. und Josef Ertl haben wir auch ein Stück unserer Geschichte verloren“, bedauerte Strecker und erinnerte an die 2022 verstorbenen langjährigen und sehr engagierten Bergwacht-Urgesteine, die über viele Jahrzehnte aktiv am Geschehen der Bergwacht Bad Reichenhall teilgenommen haben.
Oberbürgermeister Dr. Lung bat bei seinen Grußworten von Herzen um eine gesunde Rückkehr der Einsatzkräfte und bedankte sich stellvertretend für alle Reichenhaller bei Stefan Strecker für die geleistete Arbeit zum Wohl der Bevölkerung und Gäste. Peter Huber, Dienststellenleiter der Reichenhaller Polizei, hob die gute und professionelle Zusammenarbeit mit der Bergwacht hervor und meinte: „Es ist schon ein besonderer Luxus für uns, auf Euch Ehrenamtliche zurückgreifen zu können.“ Gerade bei Suchaktionen und Vermisstenmeldungen sind die Freiwilligen der Bergwachten immer wieder eine wertvolle Ergänzung für die Polizei, da sie oft sehr kurzfristig mit vielen Einsatzkräften bereitstehen und in kurzer Zeit große Flächen im unwegsamen Gelände absuchen können.