Bergwacht-Lawinenhunde absolvieren trotz Schneemangel erfolgreich ihre Winter-Prüfungen auf der Reiteralpe
SCHNEIZLREUTH/JETTENBERGER FORST (ml) – Die Such- und Lawinenhundestaffel der Bergwacht-Region Chiemgau hat von Freitag bis Montag vier Tage lang trotz des anhaltenden Schneemangels ihren traditionellen Winterkurs auf dem Hochplateau der Reiteralpe absolviert, wobei Lehrgangsleiter Achim Tegethoff (Marquartstein) und Ausbilder Michael Partholl (Ramsau) ihre Energie und ihr Fachwissen vor allem in die Weiter-Qualifizierung von drei bisherigen A-Hunden investierten: Daniela Neubauer (Teisendorf-Anger), Achim Perl (Traunstein) und Michael Partholl (Ramsau) haben mit Shana, Sanchez und Xaverl erfolgreich die Prüfung zum B-Hund abgelegt und können damit ab sofort bei Lawinen- und Sucheinsätzen mit ihren Vierbeinern ausrücken und Leben retten. Antonia Purrer (Marquartstein) frischte mit ihrem Gustl die Prüfung zum voll einsatzfähigen C-Hund auf. Der erfahrene langjährige Lawinenhundeführer Ernst Bresina von der Bergwacht Bergen ging mit seiner neuen Hündin Susi an den Start und meisterte mit der Prüfung zum A-Hund erfolgreich die erste Etappe in der rund dreijährigen zeitintensiven Ausbildung.
Wegen Schneemangel konnte der Kurs nicht wie zunächst geplant Mitte Januar auf der Reiteralpe stattfinden; stattdessen fand aber eine Einsatz-Übung am Jenner-Krautkaser statt, bei der die erfahrenen C-Hunde wiederholt in Prüfungen ihre Einsatztauglichkeit unter Beweis stellten, darunter Jörg Riechelmann mit Enzo (Teisendorf-Anger), Thomas Pöpperl mit Lasko (Berchtesgaden), Jürgen Triebler mit Asko (Marquartstein) und Andreas Lindner mit Juana (Ruhpolding).
Ein Lawinenhund ersetzt bei der Suche nach Verschütteten und Vermissten eine ganze Bergwacht-Mannschaft und sein Geruchsvermögen ist um ein Zigfaches besser wie das des Menschen: Nach wie vor ist der Einsatz von Hunden die effektivste Methode, um Lawinenopfer schnell und effektiv aufzuspüren. Bei der rund dreijährigen Ausbildung zum Lawinen- und Suchhund wird vor allem der Spieltrieb der Tiere genutzt. „Wir trainieren nicht den angeborenen Geruchsinn der Hunde. Wir bringen ihnen nur bei, dass sie die gestellten Aufgaben wesentlich einfacher lösen, wenn sie ihre Nase einsetzen“, erklärt Ausbilder Partholl. Neben jeweils einer Woche Sommer- und Winterlehrgang pro Jahr finden monatlich Übungen und Motivations- und Unterordnungstraining statt. Zusätzlich nimmt der Hundeführer in seiner jeweiligen Bergwacht-Bereitschaft an weiteren Übungen teil und trainiert nahezu täglich auch privat zu Hause mit seinem Vierbeiner die eingespielten Abläufe. Ein Lawinenhund kostet unzählige Stunden für Ausbildung und Übung und einige tausend Euro Unterhalt für Futter, Tierarzt und Einsatzausrüstung. Deshalb ist es für den Hundeführer das Größte, wenn sein Tier einen Einsatz erfolgreich meistert.
Bergwacht und Bundeswehr arbeiten seit Jahrzehnten im Gebirge eng zusammen und unterstützen sich bei Übungen und im Notfall immer wieder gegenseitig mit Personal, Ausrüstung und Infrastruktur: Die Gebirgsjägerbrigade 23 und die Wehrtechnische Dienststelle 52 (Oberjettenberg) brachten die Lawinenhundestaffel am Freitagvormittag mit der Seilbahn aufs Hochplateau und stellten wieder ihr Übungsgelände, die Gebäude und die Pistenraupe zur Verfügung, mit der die Ehrenamtlichen Schneehaufen zum Löcher graben zusammenschieben und den fiktiven Lawinenkegel präparieren konnten. Die Hundeführer machten dann am Nachmittag mit spezifischen Reizen die Tiere mit dem Gelände vertraut und bildeten sich am Abend im Lenzenkaser bei einem Theorie-Vortrag von Achim Perl in Lawinenkunde fort, der zugleich ehrenamtlich im Lawinenwarndienst Bayern aktiv ist und sich deshalb besonders gut auskennt.
Bei schönstem Wetter gings am Samstagmorgen realitätsnah auf die Übungslawine, wo die Hunde zunächst den vertrauten eigenen Hundeführer, dann einen für sie fremden Helfer und nach der Mittagspause einen und später auch zwei in Schneelöchern vergrabene Verschüttete suchen durften. „Der Hund ist er dann wirklich einsatztauglich, wenn er sich durch den Heli, fahrende Überschneefahrzeuge oder andere Menschen am Lawinenkegel nicht von seiner eigentlichen Aufgabe ablenken lässt“, erklärt Partholl, der die auch im Einsatz möglichen Störungen bewusst mit steigender Schwierigkeit in die Übungen einbaut. In den Pausen durften die Vierbeiner dann auch ausgiebig Gassi gehen und gemeinsam toben und spielen. Mit Skiern gings nach absolviertem Training zurück zur Unterkunft, wo am Samstagabend wieder Lawinenkunde stattfand.
Am Sonntag herrschte dann mit Schneefall, Wind und Nebel das Wetter, das Bergwacht-Einsätze immer wieder so aufwendig und schwierig macht, wenn kein Heli mehr fliegen kann und die Retter zeitaufwendig zu Fuß aufsteigen müssen. Tegethoff und Partholl und die Helfer Kurt Becker (Berchtesgaden) und Hugo Seichter (Bergen) hatten für die Vierbeiner realitätsnahe und anspruchsvolle Szenarien vorbereitet, darunter Suchen mit teilweise mehreren Verschütteten und auf größere Entfernungen, bei dem auch die Hundeführer als erste Retter auf der Lawine voll gefordert waren und laufend die Lage neu beurteilen und über Funk an die Übungsleitung durchgeben mussten. Das zuvor theoretisch aufgefrischte Wissen zur Lawinenkunde musste praktisch im Gelände mit Schneeprofil graben und Blocktest umgesetzt werden. Am Abend fanden dann in der Hütte die Auszeichnung der Hundeteams zu den bestandenen Prüfungen und eine Besprechung der vergangenen intensiven Tage statt, bevor dann alle am Montagmorgen die Unterkunft aufräumten und mit großem Gepäck und tierischen Begleitern ins Tal zurückkehrten.
Bei einem Lawinenabgang mit Verschütteten zählt im Ernstfall jede Minute, und die feine Hunde-Spürnase ist trotz aller modernen Technik nach der Kameraden-Rettung nach wie vor die effektivste und schnellste Möglichkeit, unter den Schneemassen begrabene Menschen rasch und vielleicht noch lebend aufzuspüren. Etwa sieben Prozent der Verschütteten sind bereits beim Stillstand einer Lawine aufgrund ihrer schweren Verletzungen tot, bedingt durch Absturz oder die Wucht des Schnees. Auch mit vorhandener Atemhöhle ist nach einer halben Stunde etwa die Hälfte aller Lawinenopfer wegen Sauerstoffmangel tot; ohne Atemhöhle versterben 50 Prozent bereits nach 15 bis 20 Minuten. Nach einer dreiviertel Stunde sind statistisch betrachtet 75 Prozent der Verschütteten erstickt.
Neben der schnellen Kameradenhilfe und gekonntem Umgang der Ersthelfer mit Notfall-Ausrüstung wie LVS-Gerät, Sonde und Schaufel ist vor allem entscheidend, dass die Suchhundeteams möglichst rasch zum Einsatzort gelangen: Im Ernstfall holt die Heli-Crew ein Suchhundeteam beim Anflug ins Einsatz-Gebiet meist zu Hause oder am Arbeitsplatz des ehrenamtlichen Hundeführers ab und setzt es dann im Schwebeflug oder per Winde am Lawinenkegel ab. Wenn das Wetter nicht mitspielt und Wolken und Wind einen Flug unmöglich machen, werden die Suchhundes-Teams so weit wie möglich per Seilbahn, mit Autos oder besonders geländegängigen Überschnee-Fahrzeugen auf den Berg gebracht, wobei die Retter dann weiter zu Fuß mit Skiern aufsteigen und im Anschluss auch durchs Gelände abfahren müssen.
Das vom Heli auf dem Lawinenkegel abgesetzte Suchhunde-Team ist in der ersten durchaus auch für die Retter riskanten Einsatzphase zunächst auf sich allein gestellt, und der Hundeführer entscheidet über die weitere Taktik: Während beim Hund das übers Spielverhalten antrainierte Such-Programm weitgehend automatisch an- und abläuft, ist der Bergwacht-Hundeführer Abschnittsleiter, Sondierer, Schaufler und Sanitäter in einer Person und muss neben der Lage-Erkundung zusätzlich noch seinen Hund mit Kommandos im Gelände über das potenzielle Suchgebiet führen. „Wegen der in kurzer Zeit nur sehr schwer zu erfassenden und einschätzbaren Risiken Grund genug, dass alle planbaren Abläufe und jeder Handgriff in Fleisch und Blut übergehen und bei einem scharfen Einsatz sitzen müssen“, erklärt der stellvertretende Staffelleiter Tegethoff.
Was sind A-, B-, C- und CW-Hunde eigentlich?
A-Status: Der Hund ist noch in der Ausbildung. Mit dem erfolgreichen Ablegen der ersten Prüfung erreicht der Hund diesen Status. Damit ist er offiziell Bergwachthund, jedoch noch nicht bereit für echte Einsätze. Hierzu zählen oft Junghunde und Hunde, die bereits rund ein Jahr lang trainieren.
B-Status: Nach dem zweiten Ablegen der Prüfungen erlangen die Hunde die eigentliche Einsatz-Reife. Nun können die Teams guten Gewissens in echte Einsätze gehen.
C- & CW-Status: Den C-Status erlangen die fortgeschrittenen, älteren und damit erfahreneren Hunde. Diese Hunde müssen in den Prüfungen schwere bis sehr schwere Aufgaben lösen. Sie sind in sehr anspruchsvollen Einsätzen bevorzugt, da die Erfahrung von Hund und Mensch die Chance auf eine Lebend-Rettung und eine erfolgreiche Suche wesentlich erhöht. Die C-Hunde wiederholen die Prüfungen jährlich (CW-Status) und demonstrieren dabei, dass sie den Einsätzen nach wie vor gewachsen sind.