Fast 1.500 Einsätze weniger im belastenden Corona-Jahr 2020: Ungleiche Jahresverteilung mit überdurchschnittlich einsatzreichem Sommer
Rettungsdienst und Krankentransport des Roten Kreuzes bei fast 21.500 Einsätzen gefordert – hoher Materialverbrauch für Schutzausrüstung und körperlich-psychische Belastung durch Ungewissheit bei jedem Einsatz und viele infektiöse Patienten
BERCHTESGADENER LAND (ml) – Der Rettungsdienst und Krankentransport des Roten Kreuzes im Berchtesgadener Land war im für die Retter anspruchsvollen Corona-Jahr 2020 bei insgesamt 21.497 Einsätzen gefordert – rund 1.500 weniger als 2019, allerdings mit einer übers Jahr hinweg sehr ungleichen Auslastung. Während im ersten Lockdown aufgrund der reduzierten Aktivitäten der Menschen und der fehlenden Touristen nur noch wenige Notfälle passiert sind und auch die Krankentransporte stark zurückgingen, da die meisten ambulanten Behandlungen verschoben wurden oder ausfielen, war dann ab dem Sommer überdurchschnittlich viel los, da alles nachgeholt wurde, was zuvor nicht mehr möglich war. Im Jahresschnitt fanden aber 9,82 Prozent weniger Krankentransporte, 6,55 Prozent weniger Notarzteinsätze und 3,9 Prozent weniger Notfalleinsätze (nur Rettungswagen ohne Notarzt) statt.
Bis zu acht Corona-Patienten pro Tag
„Jeder wollte im Sommer nachholen, was zuvor nicht ging: Reisen, Aktivitäten im Freien und aufgeschobene medizinische Behandlungen – dementsprechend überdurchschnittlich viel hatten wir zu tun“, berichtet Bereichsleiter Markus Zekert, der auch die körperliche und psychische Belastung seiner Mitarbeiter betont: „Wir müssen aktuell noch immer bei jedem Einsatz davon ausgehen, dass der Patient ansteckend sein könnte und waren 2020 in einigen Wochen mit dem Transport von bis zu acht Corona-Patienten pro Tag beschäftigt, was durch Schutzausrüstung und Hygiene-Maßnahmen länger dauert und körperlich wie psychisch zusätzlich belastet.“ Insgesamt war das Rote Kreuz bei 8.803 (-958) Krankentransporten, 3.369 (-236) Notarzteinsätzen, 2.909 (-118) Notfalleinsätzen und 6.416 (-146) weiteren Einsätzen, die nicht verrechnet werden konnten, gefordert.
Fast 18 Erdumrundungen
Das BRK betreibt im Landkreis acht Rettungswagen (RTW), fünf Krankenwagen (KTW) und drei Notarzteinsatzfahrzeuge (NEF), darunter drei Ersatz-Fahrzeuge – alle sind mittlerweile mit Allrad ausgestattet, was sich vor allem während der Tage mit massiven Schneefällen sehr bewährt hat. Den größten Anteil an Rettungsdienst-Einsätzen machen mit über 70 Prozent internistische Notfälle aus; Verkehrsunfälle und andere chirurgische Einsätze nehmen im Verhältnis einen immer geringeren Anteil ein. Die Retter haben vergangenes Jahr bei insgesamt 21.497 Einsätzen 698.142 Kilometer (1,28 Prozent weniger) zurückgelegt und damit fast 18 Mal die Erde umrundet.
Die Zahl der so genannten Gebietsabsicherungen ist mit 855 nahezu gleich hoch wie 2019 (812), was daran liegt, dass die Besatzungen mit ihren Patienten tendenziell länger und weiter (2019 im Schnitt 31 Kilometer pro Einsatz; 2020 sogar 32,5) unterwegs waren als noch vor ein paar Jahren, da sich die Kliniken noch mehr spezialisiert haben. Sind beispielsweise alle Rettungsmittel aus Berchtesgaden bereits im Einsatz oder mit Patienten zu Kliniken unterwegs, schickt die Leitstelle einen Rettungswagen einer Nachbar-Wache präventiv nach Hallthurm oder Bischofswiesen, damit die Besatzung von dort aus das ansonsten nicht mehr optimal versorgte Gebiet im südlichen Landkreis bei möglichen Folge-Einsätzen rascher erreichen kann. Die Rettungswache Freilassing verzeichnet zwar während der vergangenen Jahre einen Rückgang der absoluten Einsatzzahlen, ist insgesamt aber wegen der veränderten ambulanten und stationären Versorgungsstruktur weiter und länger als früher unterwegs und muss Patienten fast immer nach Bad Reichenhall, Traunstein und Salzburg bringen.
Viele nicht verrechenbare Einsätze
6.416 waren nicht verrechnungsfähige Einsätze (146 weniger als 2019): Dabei rückte das Rote Kreuz aus, ohne das die Kosten für den Einsatz jemanden in Rechnung gestellt werden konnten – das ist dann der Fall, wenn sich vor Ort herausstellt, dass trotz des Notrufs überhaupt kein Notfall vorliegt, der Patient einen Transport verweigert oder wenn die Notfallsanitäter lediglich zur Absicherung ausrücken, wenn es beispielsweise brennt oder der Einsatz keinem konkreten Patienten zugeordnet werden kann. „Die Meldungen im Notruf weichen manchmal stark von dem ab, was unsere Mitarbeiter dann vor Ort feststellen; das liegt daran, dass die Situation oft sehr subjektiv empfunden und bewertet wird und nicht immer einfach einzuschätzen ist, aber auch daran, dass die Hemmschwelle, die 112 in allen Lebenslagen zu wählen, definitiv gesunken ist“, erklärt Zekert. Die Retter müssen im Zweifelsfall bei unklaren oder fehlenden Informationen auf Nummer Sicher gehen, den Schilderungen im Notruf zunächst einmal glauben und immer ein Fahrzeug schicken; viele Einsätze stellen sich dann vor Ort aber rasch als weniger dramatisch dar. Problematisch ist aber, dass durch die hohe Zahl dieser Fehleinsätze Rettungsmittel gebunden sind, die womöglich dann bei echten Notfällen fehlen oder erst später eintreffen. „Bei Verdacht auf akute Erkrankungen wie Schlaganfall oder Herzinfarkt sollte man aber keine Hemmungen haben, auf jeden Fall sofort anrufen und sich von den fachkundigen Disponenten beraten lassen, damit im Ernstfall keine lebensrettende Zeit vergeht“, betont Zekert.
36 Patienten bei Spitzen-Abdeckungen durch die ehrenamtlichen BRK-Bereitschaften
Im Schnitt rückt der Rettungsdienst des Landkreises 59 mal pro Tag aus (2019: 63) aus. Bedingt durch Wetter, Tourismus, Verkehr und weitere Faktoren wie 2020 auch die Corona-Pandemie gibt es mehrmals im Jahr so genannte Einsatzspitzen mit besonders vielen Notfällen und Krankentransporten gleichzeitig, wobei die ehrenamtlichen BRK-Bereitschaften dann die reguläre Vorhaltung mit ihren eigenen Fahrzeugen ergänzen – bereits 2019 mehr als doppelt so oft wie im Vorjahr 2018: Für insgesamt 41 Patienten (2018: 18) mussten sie bei Spitzen-Abdeckung des regulären Rettungsdienstes und Krankentransports ausrücken, die akuten Notfälle versorgen und die Kranken und Verletzten meist auch in Kliniken transportieren. 2020 versorgten und transportierten die Ehrenamtlichen mit ihren zusätzlichen Fahrzeugen 36 Patienten – bei Unfällen, bei internistischen Notfällen sowie bei Engpässen und Fernfahrten im Krankentransport. „Dieses sinnvolle Plus an Sicherheit für die Menschen im Landkreis leisten wir ausschließlich ehrenamtlich; die zusätzlichen Fahrzeuge und Ausrüstung müssen aber nahezu komplett mit Spenden aus der Bevölkerung finanziert werden“, betont Kreisbereitschaftsleiter Florian Halter. Geografisch ist das Berchtesgadener Land aufgrund der Berge gerade im südlichen Landkreis von den Nachbarregionen abgeschnitten. Wenn alle regulären Rettungsmittel bereits im Einsatz sind, kann die Leitstelle deshalb auf die SEG´n zurückgreifen. Die BRK-Bereitschaften im Landkreis halten zur Ergänzung des Rettungsdienstes und für Großschadensfälle aller Art 21 zusätzliche Fahrzeuge, neun Anhänger und umfangreiche Ausrüstung bereit, die - genauso wie die Aus- und Fortbildung der freiwilligen Sanitäter - fast ausschließlich über Spendengelder finanziert werden.
Bisher 50 Notfallsanitäter ausgebildet – Medikamentengabe delegiert
Aktuell 86 hauptamtliche Sanitäter, darunter sieben Auszubildende und im Schnitt 35 Ehrenamtliche der BRK-Gemeinschaften besetzten im Schichtdienst bis zu 16 Fahrzeuge der regulären Vorhaltung. Um den Rettungsdienst im Gebirge und an Gewässern kümmern sich die Ehrenamtlichen der Bergwacht im BRK und der BRK-Wasserwacht. Damit leistet das BRK im Berchtesgadener Land 100 Prozent der Einsätze und garantiert eine optimale Notfallversorgung der Bevölkerung. Bis Ende 2020 hat der BRK-Kreisverband 50 Notfallsanitäter ausgebildet, wobei sich viele der bisherigen Rettungsassistenten mit bestandenen Ergänzungslehrgängen zum Notfallsanitäter weiterqualifizierten und Berufseinsteiger die dreijährige Ausbildung komplett durchliefen. Bedingt durch die Pandemie war auch der Aus- und Fortbildungsbetrieb an den Rettungswachen zumindest zeitweise stark beeinträchtigt, so dass viele Lerninhalte über E-Learning und mehr Selbststudium vermittelt werden mussten.
Seit Dezember 2019 hat der Ärztliche Leiter Rettungsdienst (ÄLRD) den Notfallsanitätern offiziell geschulte und geprüfte Maßnahmen delegiert, darunter die eigenständige Gabe von ausgewählten Medikamenten – mit strengen Vorgaben zur Dokumentation und nachträglichen Überprüfung durch den ÄLRD. So dürfen die Notfallsanitäter bei oft sehr schmerzhaften isolierten Verletzungen der Extremitäten, wie einem Knochenbruch am Arm oder Bein, dem Notfallpatienten selbständig Schmerzmittel verabreichen oder bei akuten Atembeschwerden vernebelte Medikamente einatmen lassen. „Unsere Notfallsanitäter können damit wesentlich effektiver helfen als zuvor und müssen nicht warten, bis manchmal von weit her ein Notarzt eintrifft“, freut sich Ausbildungsleiter Hermann Scherer.
50 Ersatz-Fahrer in der Corona-Krise als Personalreserve geschult
Um einem eventuellen Engpass wie in Norditalien durch zu viele erkrankte Mitarbeiter in der Notfallversorgung und im Krankentransport vorzubeugen hat das Rote Kreuz zu Beginn des ersten Lockdowns insgesamt 50 Mitarbeiter aus dem Betreuten Fahrdienst, der BRK-Bereitschaften, der BRK-Wasserwacht und der Bergwacht im BRK mit E-Learning und Einweisungen vor Ort auf Fahrzeug, Ausrüstung und Hygiene als Ersatz-Fahrer von Krankentransportwagen geschult. Die Maßnahme war aufgrund der unklaren Lage-Entwicklung präventiv für eine mögliche Eskalationsstufe, in der die generelle Einsatzfähigkeit des Rettungsdienstes im Landkreis durch entsprechend viele COVID-19-Personalausfälle gefährdet gewesen wäre. „Wir sind froh, dass es 2020 nicht so weit gekommen ist, bereiten uns aber immer so gut wie nur möglich auf denkbare Szenarien vor“, erklärt Kreisgeschäftsführer Tobias Kurz, der vor allem die elementaren Dienste für die Daseinsvorsorge gewährleisten will: „Uns ist wichtig, dass trotz der Krise auch über viele Wochen hinweg alle möglichst gut versorgt sind!“ Die Krisenstäbe der BRK-Kreisverbände sind mit weiteren Stäben auf Bezirks- und Landesebene eng vernetzt, tauschen sich laufend aus und steuern so auch gezielt über einen zentralen Einkauf die bestmögliche Versorgung mit aktuell knappem Verbrauchsmaterial wie Desinfektionsmittel und Schutzausrüstung. Durch einen zentralen strategischen Einkauf hat das Rote Kreuz so trotz des enormen Bedarfs und der Engpässe auf dem Weltmarkt vermieden, dass den Mitarbeitern in Rettung und Pflege die für ihre Arbeit unverzichtbare Schutz- und Hygiene-Ausrüstung ausgeht.