Tag der Pflege 2023: Soziale Dienste des Roten Kreuzes schlagen sich wacker trotz bundesweit fortschreitendem Pflegenotstand
BERCHTESGADENER LAND (ml) – Die Sozialen Dienste des Roten Kreuzes im Berchtesgadener Land mit der ambulanten Pflege, der Tagespflege und den Service-Diensten Betreuter Fahrdienst, Hausnotruf und Essen auf Rädern blicken anlässlich des Internationalen Tags der Pflege am 12. Mai auf das wieder überdurchschnittlich anspruchsvolle und arbeitsreiche vergangene Jahr zurück, in dem die Mitarbeiter nach den Pandemie-Jahren auf mittlerweile schon gewohnt intensivem Level gefordert waren. „Wir wollen möglichst vielen pflegebedürftigen Menschen im Landkreis auf qualitativ hohem Niveau helfen, können das aber nur, wenn auch genug Menschen in der Pflege arbeiten“, erklärt Pflegedienstleitern Evi Ksoll, die laufend immer wieder mit der schweren Entscheidung konfrontiert ist, welchen Patienten sie angesichts der fast immer ausgelasteten Teams noch in ihre Touren aufnehmen und gut versorgen kann. Das Rote Kreuz fordert daher: „Die Politik muss zwingend eine verlässliche Strategie entwickeln, um die pflegerische Versorgung für die Zukunft sicherzustellen und für die Pflegenden attraktiv zu gestalten. Die Pflege benötigt Signale der Wertschätzung und Anerkennung.“
Rund 5.000 Hausbesuche weniger als im Vorjahr
„Wir sind dankbar, wie motiviert und kollegial sich unsere Teams auch in schwierigen Wochen mit vielen kranken Kollegen gegenseitig aushelfen und unterstützen, wir achten aber trotz aller Dynamik darauf, die Pfleger nicht durch zu viele Patienten zu überfordern, da sich der Stress langfristig negativ auf Qualität und Gesundheit auswirken würde. Den Mitarbeitern soll der anspruchsvolle Job Freude machen, damit sie gute Arbeit leisten können“, erklärt Ksoll. Mit über 118.000 (2021: 123.000) Hausbesuchen hat der ambulante Pflegedienst vergangenes Jahr tägliche hunderte pflegebedürftige Menschen zu Hause versorgt und betreut; rund 5.000 weniger als im Vorjahr, was vor allem daran liegt, dass die begrenzte Zahl an Mitarbeitern einfach nicht mehr leisten kann, ohne Abstriche in der Qualität zu machen. Allein die Rotkreuzler in der ambulanten Pflege haben bei ihren Touren 2022 über 17.400 (2021: 18.800) Stunden nur im Fahrzeug verbracht, damit die Hilfe immer und überall ankommt. Damit das alles klappt, müssen die Pflegekräfte sich von Tag zu Tag laufend auf oft stündlich veränderte Rahmenbedingungen einstellen, häufig sehr flexibel sein, kurzfristig improvisieren und praxisnahe Lösungen finden, damit jeder Patient trotz aller Umstände gut versorgt wird. „Das geht nur miteinander und mit viel Verständnis aller Beteiligten“, erklärt Ksoll, die interessierte Pflegefach- und hilfskräfte dazu aufruft, sich bei der Organisation zu bewerben und mitzuhelfen, der stetig sehr großen Nachfrage angesichts des unaufhaltbaren demografischen Wandels weiterhin gerecht werden zu können. Abstriche bei Qualität und Leistung kann und will sie nicht machen: „Dafür ist unsere Verantwortung den Patienten und vor allem auch unseren eigenen Mitarbeitern gegenüber zu groß!“ Wer Interesse hat, kann sich online unter www.brk-bgl.de/job bewerben.
Personalbedarf steigt unter optimistischen Bedingungen bis 2035 um 230 Prozent
Hohe Arbeitslast, Fachkräftemangel und Demographie sind bundesweit politisch bisher nicht gelöste Probleme mit düsterer Prognose. „Die Pflegefachkräfte haben ernsthafte Verbesserungen mehr als nur verdient“, sagt BRK-Präsidentin Angelika Schorer. „Nicht nur, weil sie in den vergangenen Krisenjahren Immenses für die gesamte Gesellschaft und unseren Sozialstaat geleistet haben, sondern weil ihr Dienst in den kommenden Jahren noch mehr gebraucht wird als bisher.“ Während im Jahr 2021 noch 578.000 Menschen im Freistaat Bayern pflegebedürftig waren, werden es im Jahr 2035 bereits 690.000 und im Jahr 2055 rund 900.000 sein (Quelle: Pflegestatistik 2021, Statistisches Bundesamt). Mit 56 Prozent (2021 im Vergleich zu 2055) wird für Bayern der bundesweit höchste Anstieg prognostiziert. Den Daten des Pflegegutachtens des Bayerischen Landesamtes für Statistik zufolge wurden in den vergangenen Jahren rund die Hälfte der Pflegebedürftigen im Freistaat entweder durch Angehörige versorgt oder nahmen keine Leistungen in Anspruch. Angenommen, diese Quote würde in den nächsten Jahren so bleiben, müssten allein in Bayern rund 450.000 Pflegebedürftige in der vollstationären und ambulanten Pflege versorgt werden. In den vergangenen zehn Jahren entfielen auf einen Pflegebedürftigen durchschnittlich 0,85 Pflegekräfte. Es ergibt sich im Jahr 2055 demnach ein Bedarf an 382.500 Pflegefachkräften, was einem Personalmehrbedarf von mehr als 230 Prozent entsprechen würde. „Mit dem Wissen, dass wir bereits heute einen Zustand erreicht haben, der sich mit dem Begriff ‚Pflegenotstand‘ kaum mehr zutreffend beschreiben lässt, ist es umso dringlicher wirkungsstarke Maßnahmen auf den Weg zu bringen“, erklärt BRK-Vizepräsidentin Brigitte Meyer. „Nur mit mehr Pflegekräften im System, lassen sich die heutigen, aber auch die zukünftigen Herausforderungen bewältigen“, so Meyer und ergänzt: „Wir können so nicht mehr weitermachen. Pflegeheime verhängen Aufnahmestopps, weil ihnen schlicht das Personal fehlt. Einrichtungen schließen, weil sie die Kosten schon lange nicht mehr decken können. Mitarbeitende fallen in die Arbeitsunfähigkeit, weil sie an das Ende ihrer Kräfte kommen. Wenn wir uns aus dieser Abwärtsspirale der Pflege nicht hinausbewegen, sind verheerende Auswirkungen zu erwarten.“ Dies würde vor allem Menschen treffen, die keine Angehörigen haben, die ihnen die notwendige Pflege angedeihen lassen können.
Tagespflege wieder regulär geöffnet
Die Tagespflege des Roten Kreuzes in der Freilassinger Vinzentiusstraße musste bereits während des Frühjahrs- und Herbst-Lockdowns 2020 über Nacht komplett schließen, hatte aber ab Mitte Mai 2020 in einem eingeschränkten Betrieb mit im Verlauf durchschnittlich der Hälfe der sonst bis zu 27 Gäste pro Tag geöffnet. „Drei Jahre lang viel Organisationsaufwand mit täglich neuen Planungen, strengen Hygiene-Auflagen, täglichen Schnelltests und Masken-Pflicht in den behindertengerechten Spezialfahrzeugen des Hol- und Bringdienstes; für die Gesundheit und das Wohlbefinden der Senioren wie auch zur Entlastung der pflegenden Angehörigen aber unglaublich wichtig!“, erklärt Bereichsleiterin Petra Jeuter, die immer wieder auch Besucher einzeln nach Hause fahren lassen musste, wenn sie bei der Ankunft in der Tagespflege positiv getestet wurden.
Bedarf an „Essen auf Rädern“ geht nach der Pandemie um ein Drittel zurück
Der Menüservice „Essen auf Rädern“ verzeichnet mit über 14.200 (2021: 20.000) gelieferten Menüs bei 852 (2021: rund 1.000) verschiedenen Kunden fast ein Drittel weniger Nachfrage im Vergleich zu den Corona-Jahren, in denen es einen deutlichen Anstieg gab. „Die Senioren haben am Telefon erzählt, dass sie während der Lockdowns nicht wie gewohnt in die Gasthäuser konnten und auf Lieferdienste und Essen auf Rädern umgestiegen sind, da sie selbst nicht mehr jeden Tag kochen können und ihr Ansteckungsrisiko niedrig halten wollen“, berichtet Peter Mühlbauer, der Leiter des Servicedienstes, der wegen eines Hacker-Angriffs beim Menü-Hersteller auf ein schweres Jahr zurückblickt, in dem wochenlang nicht mehr online bestellt werden konnte und die Fahrer die Menüs der Kunden individuell in Wochenkartons zusammenpacken mussten.
877 Hausnotruf-Teilnehmer und 5.332 Alarme
Im Berchtesgadener Land kümmern sich seit vielen Jahren Eric Wierzchowski, Peter Mühlbauer und Jürgen Schmidt um die Installation und Wartung der 2022 durchschnittlich 877 Geräte in den Wohnungen der Teilnehmer, wobei ein Hintergrunddienst der ehrenamtlichen BRK-Gemeinschaften und Mitarbeiter der Kreisgeschäftsstelle und des Betreuten Fahrdienstes bei Alarmen rasch zur Stelle sind und Helfer und Kontaktpersonen aus dem privaten Umfeld entlasten. Insgesamt mussten sie 235 Geräte in Wohnungen installieren und 203 abbauen, weil die Teilnehmer beispielsweise ins Seniorenheim umgezogen oder verstorben sind. Das Durchschnittsalter der Teilnehmer lag bei knapp über 84 Jahren, wobei fast 80 Prozent Frauen den Hausnotruf nutzen. Mit Hilfe eines Alarmknopfs, der am Handgelenk oder als Kette getragen wird, können die Teilnehmer beispielsweise nach einem Sturz mit einem Knopfdruck fachgerechte Hilfe verständigen. Die Nachfrage ist groß, da viele ältere Menschen alleine leben und die Kinder nicht am Ort sind. „Mit unseren im gesamten Landkreis ortsnah aktiven Ehrenamtlichen und dezentral und anonymisiert hinterlegten Wohnungsschlüsseln in zugangsgesicherten Schränken von sechs Rotkreuz-Unterkünften sorgen wir für mehr Sicherheit, fördern ein selbständiges Leben in den eigenen vier Wänden und ergänzen und entlasten das private Umfeld der Teilnehmer“, erklärt Wierzchowski.
2022 hat das Rote Kreuz im Berchtesgadener Land 5.332 (2021: 4.487) Hausnotruf-Alarme bearbeitet, wobei insgesamt 801 Hilfeleistungen notwendig waren, darunter 401 mal durch den Rettungsdienst und Krankentransport (50 Prozent), der fast 40 Prozent der versorgten Patienten in eine Klinik bringen musste, 205 mal durch den ehrenamtlichen Hintergrunddienst (26 Prozent), 185 mal durch verständigte Angehörige und andere Kontaktpersonen im privaten Umfeld (23 Prozent) und zehnmal durch den Hausarzt (1 Prozent) – die meisten Fälle waren Hebehilfen, bei denen der gestürzte Teilnehmer nur am Boden saß und ohne fremde Hilfe nicht mehr hochkam; die Rotkreuzler konnten aber auch bei ernsten Verletzungen und akuten Erkrankungen schnell helfen, bei denen der Alarmknopf für die Betroffenen lebensrettend war. Am Hintergrunddienst beteiligen sich die ehrenamtlichen BRK-Bereitschaften aus Ainring, Bad Reichenhall, Berchtesgaden, Freilassing und Teisendorf sowie die BRK-Wasserwacht-Ortsgruppen Berchtesgaden, Freilassing-Ainring und Laufen-Leobendorf – weitere Einsätze haben Mitarbeiter des Betreuten Fahrdienstes und der Kreisgeschäftsstelle übernommen.
Über 14.000 Aufträge im Fahrdienst
Der Betreute Fahrdienst für Patienten, Senioren und Menschen mit Behinderungen war 2022 bei insgesamt über 14.000 (2021: 16.600) Aufträgen gefordert und hat dabei über 454.000 (2021: 435.000) Kilometer zurückgelegt, also mit durchschnittlich bis zu 16 gleichzeitig betriebenen Spezialfahrzeugen über elfmal die Erde umrundet. Über 4.000 (2021: 7.300) Fahrten führten die über 50 Minijob- und Teilzeit-Fahrer mit bis zu acht Fahrgästen pro Tour im Linienfahrdienst für Tagespflege und Behinderteneinrichtungen durch, darüber hinaus über 7.300 (2021: 7.400) als Einzel-Transporte von Patienten, Senioren und Menschen mit Behinderungen, daneben rund 2.700 interne, organisatorische Aufträge wie Besorgungen, Materialtransporte und Werkstattfahrten für Vertragspartner und andere Abteilungen des Roten Kreuzes wie die ambulante Pflege, Essen auf Rädern, Hausnotruf, Rettungsdienst und Katastrophenschutz. „Zuverlässigkeit ist unser oberstes Gebot – was wir vereinbaren, das erfüllen wir auch. Wir haben bei längeren Vertragslaufzeiten von mehreren Jahren alle Risiken mit Steigerung von Personal-, Treibstoff- und Fahrzeugkosten so realitätsnah wie nur möglich prognostiziert und bei Ausschreibungen in die Angebote eingerechnet, da wir als öffentlich-rechtliche Organisation große Verantwortung tragen und enorme Verluste vorab ausschließen müssen. Allein die gravierende Entwicklung der Treibstoff-Preise, der weltweite Mangel am Fahrzeug-Markt und die steigende Inflation hätte aber noch vor zwei Jahren niemand in dieser Dimension erwartet“, betont Kreisgeschäftsführer Tobias Kurz.
In der Pandemie und Home-Office-Erfahrung ist vielen Menschen der Wert ihrer Freizeit erst so richtig bewusst geworden, weshalb sie zunächst nur noch in Teilzeit in ihren bisherigen Berufsalltag zurückgehrt sind und auch keinen Nebenjob mehr machen wollten, was sich gerade während der Urlaubszeit 2022 auch mit drohenden Personalengpässen im Fahrdienst ausgewirkt hat. Dieser Trend kehrt sich seit Jahresende durch die Auswirkungen der Inflation immer mehr um, da immer mehr Normalverdiener wieder einen Nebenjob suchen, um ihren Lebensstandard halten zu können. 2022 war geprägt von starker Fluktuation mit bedingt durch den hohen Krankenstand in medizinischen Einrichtungen temporär nur wenigen Fahrten und dann wieder wochenlang einem überdurchschnittlich hohen Transportaufkommen, als Patienten ihre oft mehrmals verschobenen Behandlungstermine nachholen mussten. „Wir sind froh, dass wir mit sehr viel Aufwand in der Disposition trotzdem noch jeden Tag fast alle Aufträge erledigen konnten, auch wenn manche Patienten mit Unverständnis reagiert haben, wenn das Fahrzeug auch bedingt durch die vielen Sommer-Baustellen und das starke Tourismus-Verkehrsaufkommen mal später als gewohnt gekommen ist“, berichtet Disponent Reiner Lebhart, der in seinem Arbeitsalltag immer wieder sehr starke Nerven braucht. Trotz dieser Engpässe musste der Fahrdienst neue Mitarbeiter einarbeiten und das bestehende Personal schulen und weiterbilden, wobei wichtige Veranstaltungen wie Fahrsicherheitstrainings, Technik-, Hygiene- und Erste-Hilfe-Schulungen wieder wie vor Pandemie-Zeiten stattfinden konnten.
Bildtexte:
Kreisgeschäftsführer Tobias Kurz (Vorne in der Mitte), Pflegedienstleiterin Evi Ksoll (Vorne links) und ihre Stellvertreterin Petra Jeuter (Vorne rechts) sind stolz auf ihr engagiertes Team in der ambulanten Pflege, das sich trotz aller Widrigkeiten des bundesweiten Pflegenotstands hoch motiviert für die Patienten im Landkreis einsetzt.
Service-Dienste wie der Betreute Fahrdienst ergänzen die Angebote in der ambulanten und teilstationären Pflege und sorgen dafür, dass ältere, kranke und behinderte Menschen zu ihren Behandlungsterminen kommen und am täglichen Leben teilnehmen können.
Pflegedienstleiterin Evi Ksoll ist erste Ansprechpartnerin für die ambulante Pflege in Anger, Bad Reichenhall, Bayerisch Gmain, Berchtesgaden, Bischofswiesen, Piding und Schönau am Königssee.
Petra Jeuter zeichnet für die Freilassinger Tagespflege und die ambulante Pflege in Ainring, Freilassing, Saaldorf-Surheim und Teisendorf verantwortlich.